Jedem meiner Programme liegt ein bestimmtes durchgängiges Thema zugrunde. Entstanden sind diese Ideen durch die Beschäftigung mit der Musik – intuitiv während des Spiels und systematisch durch Nachforschungen. Insofern spiegeln diese Programme mein persönliches Interesse an den Werken, an ihren Komponisten oder den Lebensumständen einer bestimmten Zeit wider.
„Dream on!“
heißt der Titel einer Rockballade der Band Aerosmith – wer kennt sie nicht?!
Auch in der klassischen Musik finden wir viele Werke, die zum Träumen anregen oder sie musikalisch darstellen. Mit diesem Programm möchte ich Sie in musikalische Welten entführen, die mit dem Thema Traum in Verbindung gebracht werden können. Träumte Robert Schumann von der Gründung einer Familie, als er seiner Clara von den „kleinen putzigen Dingern“ berichtete, die er „Kinderscenen genannt“ habe? Sah Claude Debussy seine dreijährige Tochter Chouchou schon am Klavier sitzen, als er ihr seine Children's Corner mit den Worten: "Meiner geliebten kleinen Chouchou, mit zärtlichen Entschuldigungen ihres Vaters für das, was folgt..." widmete?
Beginnen wird das Programm mit einer der schönsten, traumverlorensten Sonaten von Franz Schubert, der selten zu hörenden Es-Dur-Sonate. Zum Abschluss führt uns Johannes Brahms mit seinen Vier Klavierstücken op. 119 peu à peu aus dem Traum zurück in die Wirklichkeit und entfaltet in seinem letzten Klavierwerk die gesamte Bandbreite seines Ausdrucksvermögens.
Zum Träumen lade ich Sie herzlich ein –
Dream on!
Halbfertige Arbeiten, unvollendet liegengebliebene Projekte, begonnene Vorhaben – jeder könnte wohl eine Reihe guter Gründe hierfür nennen: Man wurde vor der Beendigung des Projektes abgelenkt - möglicherweise war es in Gedanken ohnehin schon fertig, man musste sich lediglich noch die Zeit nehmen, es zu Ende zu führen. Vielleicht war man aber auch an einem schwierigen Punkt angelangt: Probleme, die man zu Beginn so nicht erwartet hatte, behinderten die flüssige Ausführung; man wusste im Moment einfach nicht weiter. Musste das ursprüngliche Konzept neu überdacht werden? Womöglich scheute man sich aber auch, gewagte Einfälle weiter zu entwickeln, weil man mit dem Unverständnis der Umwelt rechnete... etc.etc. So mag es auch Schubert bei seinen rund 80 unvollendeten Werken gegangen sein, deren Niederschrift häufig mit dem Kürzel „etc.etc.“ endete; sind doch knapp ein Viertel seiner Klavierkompositionen und sogar fast die Hälfte seiner Klaviersonaten unvollendet geblieben.
In meinem Programm werde ich mehrere von Schuberts fragmentarischen Werken aufführen und dabei versuchen, ihrer individuellen Geschichte auf den Grund zu gehen. Gerade die Abbruchstellen bieten uns die Chance, Hörgewohnheiten zu hinterfragen und sich dem Entstehungsprozess der Komposition zu nähern. Überraschend ist die Vielfalt der möglichen Gründe für die Unfertigkeit, betörend die Schönheit der zum Teil selten zu hörenden Werke.
Johannes Brahms hat mit dem Gedanken gespielt, seine späten Klavierstücke Monologe zu nennen; Franz Schubert schrieb seine Drei Klavierstücke kurz vor seinem Tod für die Schublade; Joseph Haydn vermisste – als Hofmusiker auf dem Landsitz der Familie Esterházy weit abgeschieden vom öffentlichen Leben – den musikalischen und intellektuellen Austausch mit seinen Kollegen und Freunden; und Edvard Grieg scheint in der Ballade g-moll seinen ambivalenten und verzweifelten Gefühlen bezüglich seiner Ehefrau, über die er offensichtlich mit niemandem reden konnte, Ausdruck zu verleihen.
So haben die in unterschiedlichen Lebenssituationen entstandenen Werke der vier Komponisten eines gemeinsam: sie erzählen alle von intimsten Regungen und existenziellen Erfahrungen, von Geheimnissen und Gefühlen, aber ohne Adressaten – gleichsam zu sich selbst.
In der Live-Konzert-Situation werden wir Zeuge dieser berührenden Bekenntnisse; es entsteht ein Austausch zwischen der klingenden Musik, dem Interpreten und den Hörenden über Grenzen und Jahrhunderte hinweg – so gesehen wandeln sich die Monologe in Dialoge.