Jedem meiner Programme liegt ein bestimmtes durchgängiges Thema zugrunde. Entstanden sind diese Ideen durch die Beschäftigung mit der Musik – intuitiv während des Spiels und systematisch durch Nachforschungen. Insofern spiegeln diese Programme mein persönliches Interesse an den Werken, an ihren Komponisten oder den Lebensumständen einer bestimmten Zeit wider.
Halbfertige Arbeiten, unvollendet liegengebliebene Projekte, begonnene Vorhaben – jeder könnte wohl eine Reihe guter Gründe hierfür nennen: Man wurde vor der Beendigung des Projektes abgelenkt - möglicherweise war es in Gedanken ohnehin schon fertig, man musste sich lediglich noch die Zeit nehmen, es zu Ende zu führen. Vielleicht war man aber auch an einem schwierigen Punkt angelangt: Probleme, die man zu Beginn so nicht erwartet hatte, behinderten die flüssige Ausführung; man wusste im Moment einfach nicht weiter. Musste das ursprüngliche Konzept neu überdacht werden? Womöglich scheute man sich aber auch, gewagte Einfälle weiter zu entwickeln, weil man mit dem Unverständnis der Umwelt rechnete... etc.etc. So mag es auch Schubert bei seinen rund 80 unvollendeten Werken gegangen sein, deren Niederschrift häufig mit dem Kürzel „etc.etc.“ endete; sind doch knapp ein Viertel seiner Klavierkompositionen und sogar fast die Hälfte seiner Klaviersonaten unvollendet geblieben.
In meinem Programm werde ich mehrere von Schuberts fragmentarischen Werken aufführen und dabei versuchen, ihrer individuellen Geschichte auf den Grund zu gehen. Gerade die Abbruchstellen bieten uns die Chance, Hörgewohnheiten zu hinterfragen und sich dem Entstehungsprozess der Komposition zu nähern. Überraschend ist die Vielfalt der möglichen Gründe für die Unfertigkeit, betörend die Schönheit der zum Teil selten zu hörenden Werke.
Johannes Brahms hat mit dem Gedanken gespielt, seine späten Klavierstücke Monologe zu nennen; Franz Schubert schrieb seine Drei Klavierstücke kurz vor seinem Tod für die Schublade; Joseph Haydn vermisste – als Hofmusiker auf dem Landsitz der Familie Esterházy weit abgeschieden vom öffentlichen Leben – den musikalischen und intellektuellen Austausch mit seinen Kollegen und Freunden; und Edvard Grieg scheint in der Ballade g-moll seinen ambivalenten und verzweifelten Gefühlen bezüglich seiner Ehefrau, über die er offensichtlich mit niemandem reden konnte, Ausdruck zu verleihen.
So haben die in unterschiedlichen Lebenssituationen entstandenen Werke der vier Komponisten eines gemeinsam: sie erzählen alle von intimsten Regungen und existenziellen Erfahrungen, von Geheimnissen und Gefühlen, aber ohne Adressaten – gleichsam zu sich selbst.
In der Live-Konzert-Situation werden wir Zeuge dieser berührenden Bekenntnisse; es entsteht ein Austausch zwischen der klingenden Musik, dem Interpreten und den Hörenden über Grenzen und Jahrhunderte hinweg – so gesehen wandeln sich die Monologe in Dialoge.